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Dieser Text ist auch auf Englisch auf der Website der Groupe d’études géopolitiques verfügbar.

Die globale Ökonomie steht vor zahlreichen Herausforderungen. Diese hängen sowohl mit der durch die Pandemie verursachten Erschütterung1 als auch mit langfristigeren und tiefgreifenderen Umbrüchen, deren dauerhafte Auswirkungen unabhängig von der Pandemie sind, zusammen. Die Einführung einer Vielzahl von Reformen in Frankreich wie in Europa ist daher für den Aufbau der Ökonomie von morgen dringender denn je.

Im Zuge der internationalen Kommission, die wir geleitet haben und deren Arbeit mit einem im Juni veröffentlichten Bericht abgeschlossen wurde,2 hat sich ein Konsens über drei Schlüsselthemen herausgebildet. Diese Tatsache ist bemerkenswert, denn sie vereint Ökonomen verschiedener Horizonte: französische, europäische und amerikanische. Das erste Thema betrifft die existenzielle Bedrohung, die vom Klimawandel ausgeht, sowie die Antworten, die wir darauf finden müssen. Der zweite Punkt betrifft Ungleichheiten und die ökonomische Unsicherheit und hat zum Ziel, eine inklusive Wirtschaft zu schaffen. Drittens geht es um demografische Veränderungen, und hierbei insbesondere um die Alterung der Bevölkerung, die eine Reihe von Anpassungen erforderlich macht.

Zu jedem dieser Themen haben wir einen Überblick darüber erarbeitet, was wir wissen und was wir nicht wissen. Anschließend haben wir daraus Schlüsse für Ansätze geeigneter Wirtschaftspolitik gezogen. In der Diskussion dieser Reformen haben wir besondere Aufmerksamkeit auf ihre Wahrnehmung, potenzielle Widersprüche und Möglichkeiten zum Umgang damit gerichtet.

Klima und Umwelt

Fakt ist, dass der Klimawandel ein absoluter Notfall ist—der jüngste Bericht des Weltklimarats (IPCC), der am 9. August veröffentlicht wurde, bestätigt das: die CO2-Emissionen und der Ausstoß anderer Treibhausgase haben verhängnisvolle Auswirkungen auf das Klima. Die Erderwärmung könnte im Vergleich zur vorindustriellen Zeit schon innerhalb der nächsten zwanzig Jahre 1,5°C betragen. Ein Temperaturanstieg dieser Größenordnung würde „beispiellose“ Extremwetterereignisse verursachen. Es bleibt wenig Zeit zum Handeln und je länger wir warten, desto kostspieliger werden die notwendigen Maßnahmen der Eindämmung und der Anpassung. Diese Dringlichkeit wird von der Mehrheit der französischen und europäischen Bevölkerung wahrgenommen: mehr als 90% der französischen Bevölkerung denken, dass die Klimaerwärmung menschlichen Ursprungs ist und dass sie dementsprechend bewältigt werden kann. In der Europäischen Union insgesamt sehen 93% der Bürger den Klimawandel als ein ernstes Problem.3Begibt man sich jedoch auf das Terrain der Umweltpolitik und der Maßnahmen, die derzeit zur Milderung der Auswirkungen der Klimaerwärmung eingesetzt werden, gehen die Wahrnehmungen auseinander und sind der Realität mehr oder weniger angemessen. Maßnahmenbündel sind Gegenstand unzutreffender Wahrnehmungen, die ihre Anwendung behindern oder erleichtern: Maßnahmen mit „sichtbarer“ Auswirkung—beispielhaft hierfür sind CO2-Steuern—sind sehr viel unbeliebter als solche Maßnahmen, deren Auswirkungen „unsichtbar“ sind—Verbote, Subventionen erneuerbarer Energien oder Einführung neuer Normen—, und das, obwohl letztere potenziell sehr viel kostspieliger sind.

Ausgehend von den auf europäischer Ebene festgesetzten Vorgaben—die Emissionen bis 2030 um 55% gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken und bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen—und von der Verbindlichkeit des Zwei-Grad-Ziels war die Herausforderung, vor die sich unsere Kommission gestellt sah, eine doppelte: zum einen Lösungen vorzuschlagen, die darauf abzielen, die Kluft zwischen Diskursen und Handlungen zu verkleinern und die politische Akzeptanz kostenintensiver Maßnahmen zu gewährleisten, dabei aber gleichzeitig darauf zu achten, dass ihre Kosten so niedrig wie möglich bleiben. Zuerst einmal schlagen wir eine allgemeine CO2-Bepreisung vor, die auch diejenigen Bereiche umfasst, die bisher von Ausnahmeregelungen profitiert haben. Ergänzt würde dies durch einen CO2-Grenzausgleich, um Umweltdumping zu unterbinden. Zweitens halten wir es für unerlässlich, die Investitionen in Forschung und Entwicklung zu verstärken und zwei dies begleitende Institutionen auf europäischer Ebene zu schaffen, die eine gute Governance gewährleisten. Drittens könnten diese Maßnahmen durch eine Reihe von Normen und Verboten ergänzt werden, deren implizite Kosten mit Hinblick auf die durch sie vermiedenen CO2-Emissionen zu bewerten wären. Schließlich, auch wenn der Einfluss Frankreichs im Bereich der Klimapolitik substanziell sein kann, so kann diese nur dann wirklich wirkungsvoll sein, wenn sie auf europäischer Ebene durchgeführt wird—denn diese ist, insofern sie einen Zugang zur internationalen Ebene eröffnet, die relevante Ebene, auf der eine wirkungsvolle Klimapolitik entwickelt werden muss.

CO2-Bepreisung für einen gerechten und wirksamen Übergangs

Trotz seiner Unbeliebtheit ist ein höherer, allgemeiner und umverteilender CO2-Preis, in dem sich die Dringlichkeit und das Ausmaß der Klima-Herausforderung ausdrückt, unverzichtbar. Er hat mindestens vier Vorteile: er drängt diejenigen zum Handeln, die mit relativ geringen Kosten ihre Emissionen eliminieren können, er regt grüne Innovation an und vereinfacht die Staaten ebenso wie Akteuren der Wirtschaft die Entscheidungsfindung, indem er die Messung der Emissionen sicherstellt. Außerdem erfordert er keine weitreichenden öffentlichen Ausgaben, sondern erhöht im Gegenteil die Einnahmen, die an die am stärksten betroffenen Haushalte umverteilt werden können. Seine Wirksamkeit hat er bereits im Vereinigten Königreich und in Schweden unter Beweis gestellt.

Kommen wir kurz auf seine Funktionsweise zurück: Regierungen legen ein „CO2-Budget“ fest, das dem Umfang derjenigen Emissionen entspricht, die erzeugt werden dürfen, ohne die im Übereinkommen von Paris gezogenen Grenzen zu überschreiten. Der CO2-Preis wird dann durch das Gleichgewicht des Marktes festgesetzt. Allerdings muss, um unvorhersehbaren Entwicklungen—wie dem Aufkommen und den damit entstehenden Kosten grüner Technologien oder Hindernissen, die sich aus der politischen und geopolitischen Ordnung ergeben—begegnen zu können, das CO2-Budget im Laufe der Zeit angepasst werden. Dies kann eine starke Preis-Unsicherheit für wirtschaftliche Akteure nach sich ziehen, die heute langfristige Entscheidungen treffen müssen. Um dieses Risiko zu senken, schlagen wir vor, mithilfe fester Unter- und Obergrenzen eine gewisse Stabilität der CO2-Emissionspreise zu garantieren. Um Lobby-Effekte zu verhindern, schlagen wir außerdem die Schaffung einer Zentralbank vor, der die unabhängige Governance ebenso wie die Entscheidung über die Entwicklung des Umfangs von Emissionen im Verlauf der Zeit in Übereinstimmung mit dem politischen Mandat obliegt.

Das von der EU-Kommission im Juli vorgestellte „Fit für 55“-Paket ist ambitioniert—es verspricht eine Senkung der Emissionen um 55% bis 2030 gegenüber dem Niveau von 1990—und behandelt einen Großteil der Fragen unseres Berichts, insbesondere die Frage des CO2-Grenzausgleichs, die Überarbeitung des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS) und des Klima-Sozialfonds. Hier einige Bemerkungen zu diesem Thema.

Zuerst einmal ist die Einbeziehung der Bau- und Transportsektoren (die zusammen für 57% der europäischen Emissionen verantwortlich sind) an sich eine gute Neuigkeit. Während Puristen nicht damit zufrieden sind (es gibt keinen ökonomischen Grund dafür, ein paralleles EHS zu schaffen, dass diesen beiden Bereichen niedrigere Preise zugesteht) sind umgekehrt viele Stimmen laut geworden, die sich der Einbeziehung der beiden Sektoren in ein System der CO2-Bepreisung widersetzen. Unserer Ansicht nach handelt es sich hierbei um eine falsche Einstellung. Wir teilen die Sorgen darüber, was die sozialen Folgen dieser Einbeziehung angeht, aber die beiden Aspekte müssen getrennt voneinander betrachtet werden: man kann sowohl nachdrücklich die CO2-Bepreisung in diesen Bereichen befürworten (das Fehlen einer Bepreisung hat dazu geführt, dass es im Bausektor überhaupt keinen Fortschritt gibt und im Transportsektor die Emissionen sogar gestiegen sind, während im—dem EHS unterworfenen—Stromsektor die Emissionen gesunken sind) als auch seine Sorgen angesichts von Verteilungsfragen ausdrücken und die Kommission in der Verhandlung über die für die kommenden zwei Jahre vorgesehenen Entschädigungen (die Zahl von 25% der Einnahmen, die dem Klima-Sozialfonds zugewiesen werden sollen, scheint hinter dem Bedarf zurück zu bleiben) unterstützen.

Weitere zentrale Maßnahmen von „Fit für 55“ sind der Grenzausgleich—der auch in unserem Bericht empfohlen wird—und ein Verkaufsstopp für mit fossilen Brennstoffen angetriebene Autos in den Jahren 2035–2040 (was recht spät ist, wenn man bedenkt, dass dann bis 2050–2060 Verbrenner Teil des Bestands sein werden). Von den Empfehlungen unseres Berichts bleibt diejenige der Einrichtung zweier unabhängiger europäischer Organisationen mit guter Governance, eine für die Spitzenforschung und eine für die vergleichende Bewertung der Wirksamkeit verschiedener Politikansätze zur Bekämpfung des Klimawandels, unausgearbeitet.

Die CO2-Bepreisung (sei es direkt über eine CO2-Steuer oder indirekt über eine Einbeziehung des Sektors in das EHS) ist regressiv—wie es im Übrigen viele grüne Subventionen sind (Photovoltaikanlagen auf Dächern, elektrische Autos, energetische Sanierung). Ein beträchtlicher Teil der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung muss ausdrücklich für Entschädigungsprozesse bereitgestellt werden, sowohl aus Gründen der Gerechtigkeit als auch aus Gründen der politischen Ökonomie.

Darüber hinaus muss Umverteilung sowohl in jedem Land als auch zwischen den Ländern erfolgen. So ist es zum Beispiel unabdingbar, dass die polnische und deutsche Kohleförderung, die eine kostengünstige Quelle für CO2-Einsparungen darstellt, umgehend eingestellt wird; gleichzeitig muss Europa aber die Bergarbeiter dieser Länder angemessen entschädigen.

Stärkung von Research and Development (R&D)

Die derzeitigen Investitionen in grünes R&D sind für eine Begrenzung der Klimaerwärmung unzureichend. Vor dem Hintergrund der erfolgreichen und schnellen Entwicklung von mRNA-Impfstoffen empfehlen wir, realistische technologische Ziele für den privaten Sektor festzulegen. Wir schlagen vor, auf der europäischen Ebene ein EU-ARPA-E zu schaffen, um Forschungsprojekte mit hohem Risiko und hohem Potential zu finanzieren. Um eine transparente Governance nach dem Modell von ARPA-E zu gewährleisten, würde ein für seine Forschungen und Führungsqualitäten anerkannter Wissenschaftler zur Überwachung der Mittelzuweisung und zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Organisation von Interessengruppen und der Politik benannt und mit operationeller Flexibilität ausgestattet. Mehrere erfolgreiche Projekte auf europäischer Ebene zeigen die Möglichkeiten eines solchen Modus der Kooperation zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor.

Was die Bestimmung von Investitionsprioritäten betrifft erscheint es uns zweckmäßig—ohne damit die Entscheidungen der relevanten Akteure vorwegnehmen zu wollen—vor allem in solche Technologien zu investieren, die fossile Brennstoffe langfristig obsolet machen (erneuerbare Energien und Batterien, die wenig kosten) und dabei Technologien mit einem geringen ökologischen Fußabdruck (Nutzung seltener Metalle) vorzuziehen, mit dem Ziel ihrer schnellen Anwendung auf globaler Ebene. Was die Kernenergie betrifft hat unsere Kommission zwar weder zur Zweckmäßigkeit des Baus neuer Kernkraftwerke (wie im Vereinigten Königreich und in Polen) noch zu der in diesem Fall konkret zu verwendenden Nukleartechnologie Stellung bezogen, jedoch schätzen wir die Weiternutzung bestehender Kraftwerke (unter Berücksichtigung aller Sicherheitsprinzipien) als wesentlich ein, da sie heute drei Viertel des Stroms in Frankreich und 25% des Stroms in der gesamten Europäischen Union produzieren. Auch wenn die Einbeziehung der Kernenergie in die grüne Taxonomie der Europäischen Union ein Streitpunkt zwischen den Mitgliedsstaaten ist, erscheint uns die Einsicht, dass Kernenergie, Wasserkraft und Biokraftstoffe die einzigen existierenden Möglichkeiten zur Herstellung CO2-freien Stroms sind, von äußerster Wichtigkeit, gerade weil ausgereifte Technologien zur Speicherung von Strom nach wie vor fehlen.

Normen und Verbote

Wir meinen, dass die CO2-Bepreisung selbst nicht ausreichend sein wird (zu schwacher Preis, unvollständige Information der Konsumenten). Daher schlagen wir vor, diese Maßnahmen durch Normen und Verbote zu ergänzen, die dem Beispiel des Verbots von Einwegplastiktüten folgen, oder auch ein Verbot des Verkaufs und der Zulassung von Autos mit bestimmten Treibstoffen ab einem bestimmten Datum. Unter Vorbehalt zumutbarer Kosten und einer kohärenten globalen Strategie (Verbote, Normen und Subventionen müssen bewertet werden hinsichtlich ihrer impliziten Kosten pro eliminierter Tonne CO2) sind wir der Ansicht, dass diese Instrumente Teil eines optimalen Ansatzes sein müssen.

Während unser Bericht nicht zum Ziel hatte, alle Umweltmaßnahmen im Detail zu untersuchen, schlagen wir als allgemeine Regel vor, dass alle sektorspezifischen Maßnahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse unterworfen werden, und zwar ausgehend von einer Schätzung der Kosten pro nicht emittierter Tonne CO2 sowie ihrer sozialen und umweltrelevanten Kosten. In diesem Sinne sind wir der Meinung, dass angesichts ihrer sehr geringen Kosten pro nicht emittierter Tonne CO2 die Ablösung von Kohle durch Erdgas das kleinere Übel darstellt, wobei jedoch der Bau neuer Kraftwerke vermieden werden sollte, um Lock-in-Effekte zu vermeiden, während Gas heute fast 20% des europäischen Energiemixes darstellt. Der Erdgas-Ausstieg seinerseits muss zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden.

Es gibt zwei Möglichkeiten zur Senkung unserer Treibhausgas-Emissionen; die eine besteht in der Nutzung saubererer Energien, die andere in einem geringeren Energieverbrauch. Niemand kennt die optimale Mischung zwischen beiden. Das Schöne am Mechanismus der CO2-Bepreisung ist aber gerade, dass wir nicht einen Ansatz gegenüber dem anderen vorziehen müssen; die Einsparungen werden dort erfolgen, wo sie am kostengünstigsten sind.

Indes bestehen wir auf dem Konzept der Kosten. Wir glauben nicht an den Begriff eines „grünen Wachstums“, der suggeriert, dass wir alles haben könnten. Denn wenn das der Fall wäre, warum wir das nicht in den vergangenen dreißig Jahren bereits getan? Damit die Dinge vorangehen, brauch es den politischen Mut zu akzeptieren, dass es Kosten gibt. Ist dieses Konzept einmal akzeptiert, lassen sich gute Politikansätze leichter einführen.

Die europäische Ebene

Europa, nicht Frankreich, ist die maßgebliche Handlungsebene, und europäisches Engagement im Kampf gegen den Klimawandel kann einen echten Hebeleffekt auf der internationalen Ebene haben. Mit dem Paket „Fit für 55“, das einen CO2-Grenzausgleichs umreißt, der den gerechten Wettbewerb zwischen nationalen Unternehmen und Importeuren in Bezug auf CO2-Preise gewährleistet und zögerliche Staaten zum Handeln motiviert, hat die EU ihren Willen bekundet, über das reine „Beispiel geben“ hinauszugehen. Darüber hinaus könnte Europa, wenn es sich im grünen R&D engagiert, eine Schlüsselrolle im ökologischen Übergang armer Länder zukommen.

Ungleichheiten und Umverteilung

Traditionellen Indikatoren zufolge sind Ungleichheiten in Frankreich nicht stärker ausgeprägt als anderswo. Folgt man diesen Indikatoren schneidet Frankreich besser ab als zahlreiche europäische Länder, und viel besser als die Vereinigten Staaten: der Anteil der einkommensstärksten 10% am Gesamteinkommen beträgt 32% und liegt damit niedriger als im Vereinigten Königreich (35%), in Deutschland (37%) und in den Vereinigten Staaten (45%). Und die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte war viel weniger nachteilig als in anderen Ländern, insbesondere den Vereinigten Staaten. Doch jenseits dieser traditionellen Indikatoren und anderen internationalen Vergleichen findet eine Mehrheit der französischen Bevölkerung, dass sie in einer zu ungleichen Gesellschaft leben.4 Diese Wahrnehmung ist größtenteils richtig: Frankreich ist nach wie vor ein schlechtes Beispiel, wenn es um Chancengleichheit, Zugang zu guter Bildung und guter Arbeit und um soziale Mobilität geht. Auf Grundlage dieser Punkte möchten wir im Folgenden Vorschläge zur Senkung von Ungleichheiten entwickeln.

Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen sind in drei Teile gegliedert und ermöglichen es, Ungleichheiten an mehreren Fronten zu begegnen: vor der Produktion, mit dem Ziel der Chancengleichheit am Anfang des Lebens; während der Produktion, um sich stärker auf hochwertige Arbeitsplätze hin zu orientieren; schließlich nach der Produktion, mit klassischen Maßnahmen der Umverteilung zum Schutz derjenigen, die sich nicht besserstellen konnten.

Vor der Produktion: Chancenungleichheit senken

Um die Chancenungleichheit zu senken gibt es in zwei Bereichen Handlungsbedarf: dem der Bildung und dem der Vermögensungleichheit.

Das französische Bildungssystem ist nach wie vor sehr ungleich. Die soziale Klasse ist überall auf der Welt das Kriterium, das die Bildungsstufe am besten erklärt; aber dies ist, wie es die OECD zeigt, in Frankreich besonders ausgeprägt. Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist aufschlussreich: auf die Frage, ob alle Schüler dieselben Chancen auf den Besuch Universität haben, antworten nur 44% der Befragten in Frankreich zustimmend, was die niedrigste Prozentzahl unter den sieben teilnehmenden Ländern ist—für Italien liegt die Zustimmungsquote bei 49%, für Deutschland bei 70%. Die in den letzten Jahren durchgeführten Reformen, die vor allem in die am stärksten benachteiligten Gebiete (ZEP, REP)5 investieren, haben positive Ergebnisse gebracht. Um diesen Ansatz weiterzuführen ist es notwendig, (viel) mehr zu tun und (viel) mehr zu investieren.

Was das Vermögen anbelangt ist die Gleichung einfacher: die einen beenden ihr Leben mit viel, andere mit nichts. In diesem Zusammenhang betrachten wir die Besteuerung von Erbschaften als das geeignetste Instrument zur Senkung von Unterschieden in den Ausgangsbedingungen im Rahmen eines stärker egalitären Gesellschaftsvertrags.

Die Wahrnehmungen bezüglich der Erbschaftsbesteuerung sind widersprüchlich und verständlich: einerseits betrachtet die französische Bevölkerung es als ihr Recht, eine in der Familie „mit eigener Hände Arbeit“ geschaffene Erbschaft anzutreten, andererseits akzeptieren sie Ungleichheiten am Anfang des Lebens nicht und empfinden sie als ungerecht. Frankreich ist in einer paradoxen Situation, da es im Vergleich zu anderen OECD-Ländern eine relativ hohe Erbschaftsbesteuerung hat, gleichzeitig aber unter einer relativ ineffizienten Umverteilung von Vermögen leidet. Die von uns vorgeschlagene Maßnahme zur gerechteren Besteuerung basiert vor allem auf einem Prinzip: die Steuer vom Erbnehmer und nicht vom Erblasser abhängig zu machen und die Gesamtheit der Zuwendungen, die ersterer in seinem Leben erhalten hat, zur Grundlage einer Besteuerung zu machen, die erst ab einer relativ hohen Schwelle einsetzt. Weiterhin ist es geboten, hohe Steuerbefreiungen sowie Möglichkeiten zur Vermeidung, von denen nur die am besten informierten Haushalte profitieren, rückgängig zu machen. Um die Akzeptanz dieser historisch unbeliebten Steuer zu erhöhen, halten wir es schließlich für wünschenswert, einmal vom Grundsatz des öffentlichen Haushaltens abzuweichen und die Steuereinnahmen ausdrücklich für die Unterstützung benachteiligter junger Menschen zur Verfügung zu stellen. Dies sollte in Form von Programmen geschehen, die auf alle Aspekte von Chancengleichheit abzielen, wie Bildungskredite: so erhalten beispielsweise norwegische Studierende ein Darlehen von 1.050 Euro pro Monat, deren Rückzahlungsbetrag von zukünftigen Einnahmen, guten akademischen Leistungen und der für die Erlangung eines Diploms benötigten Dauer abhängt. Der Einsatz solcher Konditionalität ist notwendig, um das Ziel der Chancengleichheit im Leben zu verwirklichen.

Nach der Produktion: klassische Umverteilungsmaßnahmen

Die Gesamtheit des Steuersystems neu zu denken wäre im Rahmen dieses Berichts eine zu ambitionierte Aufgabe gewesen. Wir haben uns daher auf einige Punkte konzentriert, die unserer Ansicht im Zuge zukünftiger Überlegungen und Forschungen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit sein sollten.

Zuerst einmal muss die Besteuerung von Kapital überdacht werden. Kapital ist stets ein mobilerer Faktor gewesen als Arbeit. Der traditionelle steuerliche Common Sense, der eine Besteuerung der am wenigsten mobilen und daher an das Territorium gebundenen Faktoren fordert, hat dazu geführt, dass Arbeit viel stärker besteuert wird als Kapital. Heute ist es notwendig, ein besseres Gleichgewicht herzustellen, umso mehr, da die Elastizität von Kapital im Verhältnis zur Steuer und seiner internationalen Mobilität möglicherweise zurückgehen wird: das Übereinkommen der OECD über eine Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmen und die Bemühung der internationalen Gemeinschaft zur Erzielung einer steuerlichen Harmonisierung gehen in die richtige Richtung.

Im Anschluss daran muss die Frage einer effektiven Erhebung der Steuereinnahmen durch die Staaten ernsthaft angegangen werden. In diesem Punkt befürworten wir eine ganz besondere Aufmerksamkeit für die Entwicklung künstlicher Intelligenz und dafür, ihre Nutzung durch die Steuerbehörden neu zu denken: KI stellt in der Tat ein entscheidendes Werkzeug zur Verbesserung der Steuerkontrolle, der Prävention von Betrug und der Erhebung aller dem Staat geschuldeten Steuern dar.

Während der Produktion: die Frage der Qualität der Arbeitsplätze

Beschäftigte wollen hochwertige Arbeitsplätze. Den verfügbaren Umfragen zufolge bedeutet das eine gute Bezahlung, aber auch Möglichkeiten zur Weiterentwicklung, Verantwortlichkeiten, eine ausreichend langfristige Perspektive, eine annehmbare Arbeitsumgebung. Denselben Umfragen zufolge betrachten sie die Globalisierung, den Freihandel und die technologische Entwicklung als Bedrohung und sie befürchten, dass viele hochwertige Arbeitsplätze im Verschwinden begriffen sind. Diesem Problem muss frontal begegnet werden.

Obwohl die Wirksamkeit bestimmter traditioneller Maßnahmen erwiesen ist, fehlen sie oft oder sind ungenügend. Eine lebenslange berufliche Ausbildung ist wesentlich, vor allem, aber nicht nur, zur Vermeidung der verheerenden und gut dokumentierten Auswirkungen von Arbeitsplatzverlusten auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Wir glauben, dass die berufliche Ausbildung ebenso wichtig ist wie die Bildung, die man zu Beginn empfängt. Die laufende Reform, die das persönliche Ausbildungskonto (frz. compte personnel de formation, CPF) eingeführt sowie eine neue Struktur zur Zertifizierung von Ausbildungen und eine bessere Verbreitung von Informationen geschaffen hat ist ein wichtiger erster Schritt.

Wir glauben jedoch, dass es notwendig ist, über diese Maßnahmen der Ausbildung und der Anpassung hinaus zu gehen und direkt auf die Verteilung und die Art der von Unternehmen angebotenen Anstellungen einzuwirken. Tatsächlich sind die technologischen und organisatorischen Entscheidungen in Unternehmen weitgehend endogen. Egal ob Unternehmen oder R&D ist die Entscheidung zur Entwicklung oder Nutzung von Technologien, die entweder bestehende Arbeitsplätze verbessern oder umgekehrt diese eliminieren, eine ökonomische. Sie hängt ab vom Preis der Faktoren, von Regelwerken, Steueranreizen, usw. Es ist also möglich, sie zu beeinflussen. So lassen sich klassische Anreizmechanismen wählen, wie die Senkung des relativen Preises für Arbeit im Verhältnis zum Kapital, die Einwirkung auf arbeitsrechtliche Regelungen oder auch Anreize in Form von Plus- und Minuspunkten, die für die Einstellungspolitik eines Unternehmens vergeben werden. Allgemeiner ausgedrückt erscheint uns eine stärkere und umfassendere Kooperation zwischen Unternehmen, Beschäftigten und Behörden im Bereich der Schaffung guter Arbeitsplätze und guter Karrierechancen als wesentlich; Erfahrungen in anderen Ländern legen nahe, dass sich damit wirklich etwas erreichen lässt. Im Fall Frankreichs bedeutet das eine bessere Integration und Zusammenarbeit zwischen Pôle Emploi, France Compétences und einer Anzahl von Unternehmen.6

Demografie, Alterung, Renten

Das dritte Element unseres Berichts ist die Demografie. Dies bezieht sich insbesondere auf die Frage der Alterung der Bevölkerung und der Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Arbeit und die Rente älterer Menschen.

Zuerst einmal muss betont werden, dass die Alterung der französischen Bevölkerung eine gute Neuigkeit ist. Sie ist in erster Linie Konsequenz einer größeren Lebenserwartung (82,3 Jahre im Jahr 2020), die mit einer verbesserten Gesundheit älterer Menschen einhergeht. Die Alterung der Bevölkerung erklärt sich in Frankreich demnach nicht durch eine geringe Fertilität, die in Frankreich bei 1,86 Kindern pro Frau im Jahr 2019 lag und damit die höchste in der EU war, während sie in den Ländern der Mittelmeerregion am niedrigsten ist (1,23 in Spanien; 1,27 in Italien). Es bleibt die Tatsache, dass die demografische Alterung weiter zunehmen wird, dass sie nicht neutral ist, und dass ihr zu begegnen die richtigen Anpassungen erfordert.

Vor diesem Hintergrund schlagen wir auch hier mehrere Reformen vor. Einerseits eine Reform der Renten hin zu einem Punktesystem, das sich durch Regeln der Transparenz, der Gerechtigkeit und der Dauerhaftigkeit auszeichnet—und nicht einfach eine Reform der Parameter. Andererseits denken wir, dass eine Reform nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie gleichzeitig das Angebot von und die Nachfrage nach Arbeit älterer Menschen erhöht, was ermöglicht wird durch die Vorbeugung von und Anpassung an chronische Krankheiten, die Einführung flexiblerer Arbeitszeiten, die größere Verbreitung von Teilzeitarbeit sowie die Verbesserung der beruflichen Bildung von Älteren.

Ein Punktesystem für die Rente: Transparenz und Gerechtigkeit

Wir gehen von zwei Feststellungen bezüglich des bestehenden Rentensystems aus. Die erste ist, dass es kaum transparent, häufig ungerecht und für die Beitragszahler schwer zu verstehen ist. Die zweite ist, dass der Mechanismus zur Anpassung des Systems an die demografischen Entwicklungen bei weitem nicht der beste ist, um die Frage der Beständigkeit des Rentensystems zu lösen. Wir sind der Ansicht, dass wir uns auf beiden Dimensionen besserstellen können.

Was die Transparenz angeht schlagen wir vor, zu einem Punktesystem für die Rente überzugehen. Jeder Erwerbstätige sammelt im Verlauf seines Berufslebens Punkte. Jeder Punkt wird prozentual am mittleren Jahreseinkommen orientiert bestimmt. Derjenige, der das mittlere Einkommen verdient bekommt einen Punkt, derjenige, der das doppelte davon verdient zwei Punkte, usw. Wenn der Erwerbstätige seine Rente einlösen will, werden die Punkte in Renteneinnahmen umgerechnet, und zwar auf Basis eines Grundpunktwertes, der jährlich mit dem mittleren Einkommen steigt und der wenn nötig in Übereinstimmung mit demografischen Veränderungen angepasst wird (mehr Details dazu unten).

Was das Renteneintrittsalter betrifft bevorzugen wir ein für alle Arbeitnehmer verbindlich festgelegtes Mindestalter, welches an die Schwere der Arbeit gekoppelt ist, wie weiter unten beschrieben—damit ließe sich das kritisierte Prinzip des „âge pivot“ eliminieren.7 Natürlich sollte es denjenigen die es möchten erlaubt sein, länger zu arbeiten und dementsprechend eine höhere monatliche Rente zu erzielen. Wir schlagen vor, dass, wenn ein Erwerbsstätiger seine Rente später einlöst, die Erhöhung seines Rentenanspruchs sowohl die zusätzlichen Beiträge als auch die geringere übrige Lebenserwartung berücksichtigt, und so aus Sicht des finanziellen Gleichgewichts des Systems neutral wäre.

Aus Gerechtigkeitsgründen muss die Reform außerdem individuelle Unterschiede zwischen Berufslaufbahnen von Erwerbsstätigen in Betracht ziehen.

Die erste von uns vorgeschlagene Anpassung betrifft Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen und unstetigen Laufbahnen. In Anlehnung an das bestehende System schlagen wir vor, Personen zusätzliche Punkte für Zeiträume, in denen sie nicht arbeiten konnten, insbesondere in der Elternzeit und während Perioden der Arbeitslosigkeit, zuzuweisen. Ebenso schlagen wir ein transparentes Umverteilungssystem mit zusätzlichen Punkten für diejenigen Erwerbstätigen vor, die den drei oder vier unteren Dezilen angehören.

Die Reform muss weiterhin verschiedene Grade der Schwere bestimmter Tätigkeiten in Betracht ziehen. Wenn auch nicht leicht objektiv zu messen, so ist diese Beschwerlichkeit sehr real. Wir sind jedoch der Ansicht, dass es Aufgabe der Sozialpartner ist, außerhalb der allgemeinen Regelung die Anpassungen in Bezug auf die Beschwerlichkeit der einzelnen Arbeitsplätze auf Branchen- oder Unternehmensebene festzulegen, aber auch die durch diese Anpassungen entstehenden zusätzlichen Kosten zu tragen. Diese zur Verantwortlichkeit anhaltende Maßnahme für Wirtschaftszweige und Unternehmen ist in den Niederlanden im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung erfolgreich gewesen.

Abschließend stellen wir fest, dass die Unterschiede in der Lebenserwartung in einem gegebenen Alter zwischen sozialen Gruppen, insbesondere zwischen Arm und Reich, sehr groß ist. Jedoch konnte unsere Kommission keinen Konsens darüber erzielen, ob unterschiedliche Mindesteintrittsalter für die Rente, zum Beispiel in Abhängigkeit vom Lebenseinkommen, gerechtfertigt sind oder nicht. Einige von uns waren für solche Unterschiede, andere hielten ein einheitliches Mindestalter für ein wesentliches Element der Normierung und argumentierten, dass die oben diskutierten Maßnahmen ausreichend seien. Das Thema bleibt also offen.

Wie lässt sich das finanzielle Gleichgewicht des Systems gewährleisten?

In Frankreich veröffentlicht der Conseil d’orientation des retraites (COR) jedes Jahr eine Stellungnahme zum Zustand des Rentensystems. 2021 kam er zu dem Schluss, dass das französische Rentensystems finanziell tragfähig ist. Wir denken jedoch, dass die vom COR zugrunde gelegten Hypothesen sehr optimistisch sind und, grundsätzlicher, dass der Anpassungsmechanismus des gegenwärtigen Systems nicht der richtige ist. Das Gleichgewicht des gegenwärtigen Systems, in dem die Beitragssätze an die Entwicklung der Löhne und die Renten an die Preisentwickelung gekoppelt sind, beruht letzten Endes auf der Entwicklung der Produktivität, welche den Unterschied zwischen beiden bestimmt. Das bedeutet aber, die Anpassung—deren Form erhebliche Auswirkungen auf den Menschen hat—der Willkür einer beliebigen und schwer vorhersehbaren Variablen zu überlassen. Das erscheint uns als nicht wünschenswert.

Deswegen sind wir dafür, die Renten an die Durchschnittslöhne zu koppeln statt an die Preise. Die faktische Indexierung der Beitragssätze und die rechtliche Indexierung der Renten auf Basis der Durchschnittslöhne beseitigt das Problem der Abhängigkeit des gegenwärtigen Systems von der Entwicklung der Produktivität. Darüber hinaus jedoch muss, angesichts des Anstiegs der Lebenserwartung und damit des Anteils von Rentnern im Verhältnis zu Beitragszahlern, ein anderer Anpassungsprozess gefunden werden. Aus buchhalterischer Sicht gibt es drei mögliche Lösungen: die Beitragssätze erhöhen, das Mindesteintrittsalter erhöhen, oder aber die Renten verringern. Derzeit (2020) liegt die Summe der französischen Renten den Hochrechnungen der Kommission zufolge bei fast 15% des BIP. Nur in Italien ist der Anteil noch höher (15,6%), was aber daran liegt, dass die italienische Bevölkerung sehr viel älter ist. Wir denken daher, dass angesichts der hohen Beitragsbelastung in Frankreich die Wahl faktisch zwischen den beiden letztgenannten Margen getroffen werden muss.

Die Wahl ist dann die folgende: entweder lässt man das Renteneintrittsalter unverändert, erzielt dann aber einen geringeren Punktwert und dementsprechend eine weniger ergiebige Rente; oder aber man erhöht das Renteneintrittsalter proportional zum Anstieg der Lebenserwartung derart, dass man den Anteil von Beitragszahlern und Rentnern stabil und den Punktwert aufrecht erhält (und eine Anhebung des Rentenniveaus entsprechend der Entwicklung der Durchschnittslöhne gewährleistet); oder man kann natürlich, und das ist am wahrscheinlichsten, eine zwischen diesen Extremen liegende Lösung finden.

Wir denken, dass die Entscheidung eine grundsätzliche ist und auf transparente und demokratische Weise getroffen werden muss. Wir sprechen uns für eine unabhängige Instanz aus, die die Art der Entscheidung verdeutlicht und, nachdem die Entscheidung getroffen ist, diese umsetzt. Was die genaue Form des diese Entscheidung herbeiführenden demokratischen Prozesses anbelangt haben wir nicht Stellung bezogen.

Schlussendlich befürworten wir einen schrittweisen Abbau von Sonderrentensystemen und einen Übergang zu einem einheitlichen, allgemeinen System über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren, was uns vernünftig erscheint.

Die Anhebung der Nachfrage nach und des Angebots von Arbeit für ältere Menschen

Eine Reform des Rentensystems wird keinen Erfolg haben, wenn Unternehmen nicht gewillt sind, ältere Menschen in Arbeitsplätzen zu behalten oder sie einzustellen, oder wenn Ältere nicht länger arbeiten wollen. Viele Rentner möchten gerne weiterarbeiten, um ihr Einkommen aufzubessern, um soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten oder einer Tätigkeit nachzugehen, wünschen aber flexiblere Formen der Anstellung.

Auf der Nachfrageseite muss Flexibilität dementsprechend ein zentraler Bestandteil der Reform sein. Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit und auf ältere Menschen zugeschnittene berufliche Ausbildung müssen geprüft werden. Alle Regelungen, die ältere gegenüber jüngeren Beschäftigten benachteiligen, müssen überdacht werden.

Auf der Angebotsseite besteht dringender Bedarf an einer besseren Behandlung chronischer Krankheiten, von denen ein Drittel der französischen Bevölkerung (20 Millionen) betroffen ist. Die Maßnahmen müssen bereits im Vorfeld ergriffen werden, indem Arbeitnehmer und Arbeitgeber für das Wohlbefinden und die Gesundheit sensibilisiert werden, noch bevor die Krankheit diagnostiziert wird. Gleichzeitig muss auch nachgelagert gehandelt werden, indem Möglichkeiten zur Anpassung der Arbeitszeiten und -bedingungen an chronische Krankheiten von Älteren und zur Kompensation von durch Behinderung verursachten Einschränkungen geschaffen werden, um so den Verbleib im Erwerbsleben zu ermöglichen. Dabei kann die Telemedizin, die sich im Verlauf der Pandemie sprunghaft entwickelt hat, sehr nützlich sein, um unter chronischen Krankheiten leidende Beschäftigte zu begleiten, insbesondere in Gebieten mit medizinischer Unterversorgung.

Fußnoten
  1. Olivier Blanchard, La crise économique du Covid-19, le Grand Continent, 23. September 2020. URL: https://legrandcontinent.eu/fr/2020/09/23/la-crise-economique-du-covid-19/
  2. Les grands défis économiques, France Stratégie, Juni 2021, URL: https://www.strategie.gouv.fr/publications/grands-defis-economiques-commission-internationale-blanchard-tirole
  3. Special Eurobarometer 513 Climate Report, European Commission 2021.
  4. Einer von der Kommission durchgeführten Umfrage zufolge betrachten 73% der Befragten die Einkommensungleichheit in Frankreich als ein ernstes oder sehr ernstes Problem, und 62% die Vermögensungleichheit.
  5. ZEP (Zone d’éducation prioritaire) und REP (Réseau d’éducation prioritaire) sind Programme des französischen Bildungsministeriums zur Verbesserung der Bildungsqualität an benachteiligten Schulen.
  6. Der Pôle Emploi ist die französische Agentur für Arbeitsvermittlung; France Compétences ist die Kommission, die die Berufsausbildung reguliert und finanziert.
  7. Das „âge pivot“ ist das einheitliche Renteneintrittsalter, dass der Reform des französischen Rentensystems von 2020 zufolge von 62 auf 64 Jahre angehoben ab 2027 werden soll.