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Key Points
- Am vergangenen Sonntag wurden in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg die Landesparlamente erneuert. Es waren die ersten zwei in einer Reihe von insgesamt sieben Wahlen, die mit den Bundestagswahlen am 26. September ihren Höhepunkt erreichen wird.
- Die beiden Amtsinhaber, Malu Dreyer (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne), waren die großen Gewinner dieses Wahlabends. Ihre Popularität und die pragmatische Linie ihrer jeweiligen Regionalparteien ermöglichten es ihnen, das Vertrauen der Wähler zu erhalten und breite Bündnisse in der Mitte des politischen Spektrums aufzubauen.
- Die CDU erlitt ihrerseits einen herben Rückschlag, der nicht allein auf die „Maskenaffäre“ zurückzuführen ist. Viele ihrer Wähler wanderten zur FDP, die von ihrer Oppositionsrolle auf Bundesebene profitieren konnte, oder zu den Freien Wählern ab, oder enthielten sich.
Herr Professor Jun, welchen Eindruck hinterlässt dieser erste Wahlabend des Jahres bei Ihnen? Gab es aus Ihrer Sicht Überraschungen?
Es gab für mich zwei Überraschungen. Die erste war, dass die CDU noch schlechter als erwartet abschnitt: Verluste hatte ich zwar erwartet, aber nicht in diesem Ausmaß. Die zweite war, dass die Freien Wähler den Sprung in den Rheinland-Pfälzischen Landtag schafften, was sich erst in den letzten Tagen abgezeichnet hatte.
Nach der Senatswahl in Hamburg im vergangenen Jahr ist auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die AfD deutlich geschwächt. Was bedeutet das für die Partei im Superwahljahr?
Für die AfD ist es so, dass anders als 2016, als sie Wahlerfolge in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg feiern konnte, ihre Themen Migration und Flüchtlinge bei vielen Wählern nicht mehr im Vordergrund stehen. Mit diesen Themen konnte sie damals bei Teilen der Wählerschaft punkten. Außerdem gab es für die AfD in letzter Zeit weniger günstige Schlagzeilen, was zum Teil selbst verursacht war. Innerparteiliche Streitigkeiten sind sichtbar geworden, und die Rolle des sogenannten „Flügels” innerhalb der Partei sorgte in der Öffentlichkeit vielfach für Kritik.
In Baden-Württemberg sind die Grünen die großen Gewinner des Wahlabends. Die Popularität des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann im eigenen Land ist sehr groß. Worin liegt dort die Stärke seiner Partei?
Die Person Kretschmann ist wohl der Haupterklärungsgrund für diesen großen Wahlerfolg. Denn seine Popularität ist bis weit in die CDU hinein sehr groß. Zwar sind die Grünen in Baden-Württemberg schon seit einem längeren Zeitraum sehr erfolgreich, weil es ihnen gelungen ist, innerhalb der Kommunen und in den Regionen Baden-Württembergs eine breite Basis aufzubauen und im Land präsent zu sein. Unter Kretschmanns Regierungsführung ist es den Grünen aber auch gelungen, eine große Regierungszufriedenheit herzustellen.
Wie ist der Absturz der CDU in ihrer einstigen Hochburg zu erklären? Es wird viel von der Maskenaffäre gesprochen, doch zum Zeitpunkt des Skandals hatten viele Bürger ihre Stimme bereits per Briefwahl abgegeben. Es müssen also auch andere Faktoren dahinterstehen.
Dafür gibt es zunächst regionale Gründe. In beiden Ländern war die CDU in der Rolle des Herausforderers und damit in der schwierigen Position, gegen sehr populäre AmtsinhaberInnen anzutreten. Außerdem gab es keine Wechselstimmung. Wenn der Herausforderer gegen einen sehr populären Amtsinhaber und gegen eine nicht vorhandene Wechselstimmung versucht, einen Wechsel herbeizuführen, ist das nur schwer zu bewerkstelligen. Überdies kam aus Berlin kein Rückenwind. Das liegt auch daran, dass die CDU im letzten Jahr zunächst einen Vertrauensvorschuss von der Bevölkerung bekommen hat. In den Umfragen geht es im März 2020 mit Beginn der Corona-Pandemie für die CDU sprunghaft nach oben. Warum? Weil man ihr am ehesten zutraute, die Pandemie selbst, aber auch die Probleme, die sich daraus ergeben, etwa im wirtschaftlichen Bereich, zu lösen. An beiden wachsen nun die Zweifel. Das heißt, diesen Vertrauensvorschuss, den die Union hatte, hat sie bisher nicht ganz umsetzen können, und dafür hat sie auch gestern die Quittung bekommen. Die Masken-Affäre ist Teil dieses verlorenen Vertrauens, das die Union jetzt zu beklagen hat.
Kann Winfried Kretschmann, der bisher mit der CDU regierte, in den Koalitionsverhandlungen mit seinem bisher Koalitionspartner eine mögliche Ampel-Koalition mit SPD und FDP als Druckmittel verwenden, um Kompromisse zu erreichen, oder ist eine solche Regierung eher unwahrscheinlich?
Das wird vor allem von innerparteilichen Entscheidungen abhängen. Die Grünen müssen überlegen, ob sie einen teilweisen Neustart wollen, den sie in der Ampelkoalition vollbringen könnten, oder ob sie ein Regierungsbündnis fortsetzen wollen, das sich mittlerweile bewährt hat. Von letzterer Konstellation haben sie bisher immer profitiert. Der Nutzen, den der Ministerpräsident selbst, aber auch seine Mitgliederbasis von einer weiteren Zusammenarbeit mit der CDU ziehen könnte, wird dabei ausschlaggebend sein. Ebenso muss die CDU darüber beraten, ob es sinnvoll ist, einen Neustart in der Opposition zu suchen, oder ob man lieber, wie der Landesvorsitzende Thomas Strobl gestern angedeutet hat, in Baden-Württemberg die Regierungspolitik weiter gestalten will. Das sind Abwägungen, die die Grünen und die CDU zunächst für sich unter Berücksichtigung der verschiedenen Aspekte treffen müssen.
Winfried Kretschmann vertritt als einziger grüner Ministerpräsident oft andere Positionen, oder zumindest einen anderen Politikstil als die Führung seiner Partei. Auch zur weiter links gerichteten Parteibasis gibt es mitunter starke Kontraste. Denken Sie, dass sich Annalena Baerbock und Robert Habeck davon inspirieren könnten, oder liegt der Erfolg der Grünen in Baden-Württemberg einfach daran, dass Herr Kretschmann und Baden-Württemberg so gut zusammenpassen?
Diese besondere Beziehung zwischen Herrn Kretschmann und den Wählern im Land ist für die Koalitionsentscheidung sicher wichtig. Kretschmann kommt besonders bei CDU-Wählern gut an, und er würde diese Wähler enttäuschen, wenn er jetzt die CDU als Koalitionspartner zurückweisen würde.
Aber zurück zu Ihrer Frage: Die bundespolitischen Grünen sind anders als die baden-württembergischen Grünen. Unter den verschiedenen Landesverbänden, die den Bundesverband konstituieren, gibt es Verbände, die traditionell eher dem linken Spektrum der Partei zugehörig sind, während der baden-württembergische als einer der konservativsten gilt. Das wissen auch Robert Habeck und Annalena Baerbock. Daher können sie nur begrenzt aus Winfried Kretschmanns Erfolg Lehren ziehen, und zwar vor allem insofern dieser erneut zeigt, dass der moderatere Zugriff, der pragmatischere Blick auf die Politik bei Wählern der politischen Mitte besser ankommt. Das konnte man in den letzten Jahren bei Baerbock und Habeck auch schon beobachten.
Wie ist der Erfolg der FDP im Land zu bewerten?
Die Partei hat in Baden-Württemberg aus der Oppositionsrolle heraus leichter agieren können, um die Corona-Politik der Bundesregierung kritisch zu betrachten. Sie war in Baden-Württemberg schon immer ziemlich stark, und hat dort oft größere Erfolge gefeiert. Jetzt hatte sie den doppelten Vorteil, dass sie sowohl die Landespolitik als auch die Bundespolitik einschließlich der Corona-Politik angreifen, auf beiden Ebenen punkten, und damit unzufriedene CDU-Wähler für sich gewinnen konnte. In Rheinland-Pfalz, wo sie mitregierte, konnte sie nur partiell auf diese Strategie setzen; außerdem ist die FDP dort Teil einer Ampel-Koalition, die bei Teilen ihrer Wählerschaft kritischer gesehen wird, weil größere Schnittmengen mit der CDU nach wie vor vorhanden sind.
Woran liegt, dass die SPD in Rheinland-Pfalz ihren Status als Volkspartei so gut verteidigen kann, während sich die Grünen weiterhin auf verhältnismäßig tiefem Niveau bewegen? Ist das allein der Popularität Malu Dreyers zuzuschreiben?
Zu weiten Teilen schon. Die Persönlichkeit, die Popularität Malu Dreyers als Ministerpräsidentin hat eine große Rolle gespielt. Hinzu kommt, dass die SPD in Rheinland-Pfalz immer einen eher pragmatischen Regierungsstil gepflegt hat und deswegen eine relativ hohe Regierungszufriedenheit erzeugen konnte. Die SPD ist aufgrund dieser pragmatischen Herangehensweise in Teilen des bürgerlichen Lagers durchaus wählbar, und das hat sich bis heute bewahrt. Diese Haltung hat auch immer dazu geführt, dass der FDP als Koalitionspartner in Rheinland-Pfalz ein wesentliches Element der Stärke der SPD war.
Ist der Einzug der Freien Wähler in den Mainzer Landtag, auf den Sie bereits hingewiesen haben, auch bundespolitisch relevant, oder handelt es sich dabei um eine rein regionale Dynamik? Wie lässt sich die Eigendynamik des Eifelkreises Bitburg-Prüm erklären, in diesem diese Partei die meisten Stimmen holte?
Die Herkunft ihres Spitzenkandidaten Joachim Streit bzw. seines Sohnes hat der Partei dort zu einem großen Erfolg verholfen [Joachim Streit war zwölf Jahre lang Bürgermeister von Bitburg und hat dort seit 2009 das Amt des Landrats inne, A. d. R.]. In der Tat kommen die Freien Wähler von der kommunalpolitischen Ebene, sind dort auch sehr aktiv, gerade in der Eifel schon lange sehr erfolgreich, und wissen diese kommunalpolitische Verankerung auch gut einzusetzen, indem sie kommunalpolitische Themen sehr stark in den Vordergrund stellen. Die Freien Wähler stehen der CDU zwar inhaltlich nah. Doch dadurch, dass sie den Freien Wählern ihre Stimme geben, konnten konservative Wähler ihrer Unzufriedenheit gegenüber der Corona-Politik der Bundesregierung Ausdruck geben. Den Wahlkampf haben sie in unterschiedlichen Kommunen mit unterschiedlichen Schwerpunkten versehen, und konnten damit auch einzelne Erfolge, insb. in ländlichen Regionen, feiern. Ich sehe aber kaum einen bundespolitischen Bezug. Vielleicht mit einer Ausnahme: Insgesamt sehen wir, dass sich die größeren Parteien schwerer tun, und dann eine Gruppe wie die Freien Wähler, die ja im politischen Spektrum der CDU wohl am nächsten stehen, hier Erfolge feiern.
Wie lässt sich der starke politisch-geografische Gegensatz zwischen der SPD-Hochburg Pfalz und dem CDU-dominierten Rheinland historisch und kulturell erklären?
Wir haben dort eine von der evangelischen Kirche geprägte Region, in der die SPD schon immer stark war, und ihre Stärke bis heute halten konnte. In den katholisch geprägten Regionen des Rheinlandes hingegen war die CDU immer stärker und behält dort teilweise ihre Stärke. Bis auf einige Ausnahmen – etwa die größeren Universitätsstädte – ist dieser Gegensatz vor allem auf die unterschiedliche konfessionelle Basis der jeweiligen Regionen zurückzuführen. Da wirken historische Traditionen noch nach.
Welche Auswirkungen haben die Landtagswahlen auf die Position von Armin Laschet und auf die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten der Unionsparteien?
Natürlich war es auch für Armin Laschet kein schöner Abend. Er bekommt durch diese Wahlniederlagen keinen Rückenwind. Diese wird er zunächst verarbeiten wollen. Seine Partei wird sich die Frage stellen müssen, wie dem drohenden Vertrauensentzug entgegenzuwirken ist. Entweder kann sie das über die Politik zu erreichen versuchen, oder über eine Persönlichkeit. Das sehen wir auch bei den Landtagswahlen: So haben Kretschmann und Dreyer gerade aufgrund des großen persönlichen Vertrauens ihrer Wählerschaft sehr hohe Werte erreichen können. Ungewissheit hingegen schafft kein Vertrauen. Vielleicht wäre es daher im Interesse der CDU, die Klärung der Kanzlerkandidatur etwas vorzuziehen.